Historie des Dachverbands
Die Bayerische Staatsregierung verkaufte in den letzten Jahren eine Reihe von staatlichen Beteiligungen an Wirtschaftsunternehmen. Ein Teil der Mittel sollte koordiniert in einem Gesamtkonzept ‚Bayern Online‘ als Anschubfinanzierung für innovative Entwicklungen eingesetzt werden, das Anfang 1995 beschlossen wurde.
Eines dieser Pilotprojekte in ‚Bayern Online‘ war das ‚Bayerische Innovationsnetz‘. Hier war geplant, eine elektronische Austauschplattform zu schaffen, über die ein Technologietransfer von den Hochschulen in die innovative bayerische Wirtschaft ermöglicht werden sollte. In diesem Zusammenhang wurde die Einrichtung von Einwahlknoten in das ‚Bayernnetz‘ vorgesehen. Zum Muster für einen solchen Einwahlknoten wurde das ‚Free-Net Erlangen-Nürnberg-Fürth‘ erkoren.
Über dieses ‚Free-Net‘ hatte ich bereits Jahre vorher das Internet kennengelernt. Als es nun zu solchen ‚Bayern Online‘-Ehren kam, suchte ich nach einem Weg, dieses System auch in allen anderen Teilen Bayerns zu verbreiten. Aus diesem Grunde besuchte ich im April 1995 den ‚Vater der Free-Nets‘, Tom Grundner, in Cleveland/Ohio, um mir ein Bild von der Organisation der amerikanischen ‚Free-Nets‘ zu machen. Das Ergebnis war ernüchternd, diese Vorgabe war in Deutschland nicht umsetzbar.
Daher entwickelte ich im Mai 1995 ein eigenes Konzept, zunächst in Abstimmung mit den Betreibern des ‚Free-Net‘. Nach Beratung durch das Deutsche Patentamt einigte man sich auf den Namen ‚Bürgernetz‘ und beantragte die Eintragung des Namens in das Markenregister.
Im August 1995 kam dann der Bruch mit den Betreibern des ‚Free-Net‘, die insbesondere in technischer Sicht die von mir für unabdingbar gehaltene Einbeziehung einiger neuer Entwicklungen grundsätzlich ablehnten. Da meine alternativen Denkansätze aber schon damals einige Sympathisanten und Nachahmer gefunden hatten, entwickelte ich weiter. Schließlich stellte ich im September 1995 dieses Konzept in der Bayerischen Staatskanzlei vor. Dort wurde es sofort akzeptiert. Nach einigem Vorlauf wurde am 23.10.1995 das in meinem Heimatort gegründete ‚Bürgernetz Schwindegg‘ stellvertretend für die Idee in das Konzept ‚Bayern
Online‘ aufgenommen. Leider waren zu diesem Zeitpunkt die 100 Mio. DM restlos ausgegeben, so daß wir ohne direkte staatliche Förderung auskommen mußten. Wir erhielten jedoch die Möglichkeit, nichtkommerziellen Datenverkehr kostenlos über das Hochschulnetz abzuleiten.
Die Idee verbreitete sich rasant in Südbayern, und sehr schnell kam der Wunsch auf, eine Interessenvereinigung zu bilden. So wurde am 16.12.1995 der ‚Bürgernetzverband e.V.‘ von 16 Bürgernetzvereinen ins Leben gerufen. 1. Vorsitzender wurde der für ‚Bayern Online‘ verantwortliche Referent in der Bayerischen Staatskanzlei, hinter ihm wurden der Betreiber des ‚Free-Net‘ und ich jeweils als Stellvertreter in Nord- bzw. Südbayern eingesetzt.
Die Neuwahlen des Vorstands am 5.10.1996 beendeten den bis dahin herrschenden Nord-Süd-Konflikt derart, daß sich die Mehrheit der Mitglieder für die südbayerische Variante aussprach. Im Laufe des letzten Jahres vollzog sich eine Annäherung der Lager, so daß wir inzwischen zu einem weitgehend einheitlichen ‚Weltbild‘ gelangt sind.
Unsere Zielsetzung ist nunmehr unter dem Leitsatz „Nutzbarmachung von elektronischer Kommunikation und elektronisch gespeicherter Information für Jedermann“ zusammengefaßt. Etwas mißverständlich ist dabei der Begriff ‚Jedermann‘, denn uns wurde sehr schnell klar, daß sich der Bedarf nach Information nicht personenbezogen pauschalieren läßt. Vielmehr orientiert sich diese Bedarf vorwiegend an den gesellschaftlichen Gruppen und Strukturen, in die unser ‚Jedermann‘ eingebunden ist. Daher habe wir uns Gedanken darüber gemacht, was denn ‚Nutzen‘ eigentlich ist. Wir haben das dann auf die einfache Formel ‚Ergebnis minus Aufwand‘ gebracht.
Vor diesem Hintergrund haben wir uns angesehen, welche Personengruppen heute schon sehr brauchbare Ergebnisse aus dem Internet holen können. Gemessen am Gesamtspektrum der möglichen Interessen, mit denen unser ‚Jedermann‘ an das Netz herangehen könnte, war das Ergebnis erwartungsgemäß dürftig: Wer sich nicht gerade den Computerfreaks zurechnen konnte, der mußte schon lange suchen, bis er auf interessantes Material stieß. An dieser Erkenntnis hat sich eigentlich bis heute nicht allzu viel geändert.
Wir haben auch betrachtet, welchen Aufwand der Bürger betreiben muß, um zu den gewünschten Daten zu kommen. Natürlich sind dazu umfangreiche Investitionen notwendig, denn die Beschaffung von Rechner und Modem belasten einen normalen Haushalt doch merklich. Hinzu kommen die hierzulande ja nicht gerade vernachlässigbaren Telefongebühren und die Kosten der Dienstnutzung. Schließlich ist gerade im Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen auch die Zeit für die Informationsgewinnung eine in der Kategorie ‚Aufwand‘ zu berücksichtigende Größe.
Die Arbeit der Bürgernetze geht nun dahin, zum einen Qualität und Zugänglichkeit der Inhalte im Netz zu erhöhen, zum anderen den Aufwand zur Erlangung der Information zu verringern. Die Bürgernetze bieten also z.B. Kurse an, in denen Grundkenntnisse zur Erstellung eigener Webangebote vermittelt werden. Diese Kurse gehen zumeist über die bloße Beschreibung der Funktionalität eines Editors hinaus, es wird vielmehr auch versucht, den künftigen Inhaltsanbietern zu verdeutlichen, daß auch diese Arbeit ein immer wichtiger werdender Dienst am Kunden ist, also die Angebote an den Erfahrungswerten orientiert werden müssen, die im direkten Umgang mit den Kunden gewonnen wurden.
Die Verringerung des Aufwandes des Bürgers orientiert sich natürlich zuerst an den finanziellen Mitteln, die zur Gewinnung der Information eingesetzt werden müssen. Hier werden bei den Bürgernetzen durch den Einsatz ehrenamtlicher Helfer, durch die Vereinbarung von Sonderkonditionen im Verband etc. die Rahmenbedingungen verbessert.
Auch die öffentliche Hand, die sich anfangs relativ bedeckt hielt, erkennt zunehmend die Bedeutung der Bürgernetze und ist bereit, Zuschüsse für den Aufbau zu gewähren. Schließlich sind die Wirkungen der Bürgernetze nicht mehr zu übersehen: Durch die Anbindung der ortsansässigen Betriebe werden die dort befindlichen Arbeitsplätze in moderne, effiziente Kommunikationsstrukturen eingebunden, was zu deren Sicherung beiträgt. Ferner werden laufend neue Arbeitsplätze bei den Bürgernetzen geschaffen.
Natürlich schließen sich sehr viele Privatpersonen den Bürgernetzen an, wobei sich der Trend klar vom ‚Nur-Internet-Nutzer‘ entfernt. Inzwischen haben viele Bürger erkannt, daß derzeit die Möglichkeit besteht, sich aktiv am Aufbau der ‚elektronischen Zukunft‘ zu beteiligen. Diese Chance wollen viele nutzen, und die Bürgernetze bieten i.d.R. die größtmögliche Entfaltungsfreiheit für eigene Ideen.
Die Bürgernetze sind in Bayern aus steuerrechtlichen Gründen in Fördervereine, denen die Aufgaben der Aus- und Weiterbildung zufallen, und Trägerorganisationen geteilt. Der Verband hält für die Musterorganisation Förderverein-Trägerverein bereits das notwendige Material (Satzungen etc.) bereit und unterstützt durch Beratung seine Mitglieder.
Stand der Dinge in Bayern ist, daß die Infrastrukturmaßnahmen mit der Einrichtung von ca. 100 Einwahlknoten nahezu abgeschlossen sind. Einige inhaltliche Projekte, z.B. ‚Schulen ans Netz‘, also der Aufbau einer Arbeits-Infrastruktur für das Schulwesen, sind im Gange.
Im Laufe des Jahres soll der Aufbau dieser Musterstrukturen abgeschlossen werden, auf deren Grundlage Modelle für die Vernetzung anderer gesellschaftlicher Gruppen erarbeitet werden können. Der Bürgernetzverband, der – historisch gewachsen – natürlich stark bayernlastig ist, soll geöffnet werden, so daß neue Anregungen, neue Ideen Fuß fassen können.
Wir sind sicher, daß die Bürgernetzidee, die ‚Vernetzung von unten‘, eine wesentlicher Beitrag zur künftigen Gestaltung der Demokratie werden kann – wenn es gelingt, die Kräfte zusammenzuführen.
Bertram Gebauer